Osaíra Schattentod
Schwarzes Omen
Part 2 - Der Informant
Zum wiederholten Mal wanderten ihre Augen entlang der feinen schwarzen Linien über das Pergament. Die Botschaft war in sehr filigraner Handschrift und mit edler Schwarztinte verfasst worden. Osaíra wusste, dass es nicht viele Leute gab, die imstande waren ein solches Schriftstück zu verfassen. Im Gegensatz zum glanzvollen Äußeren war die Nachricht inhaltlich sehr schlicht und kurz gehalten. Zum wiederholten Male las die Assassine den Text und zerbrach sich den Kopf über den möglichen Verfasser.
"Treffen bei den Docks in Löwenstein, heute Nacht, vor Anbruch der Dämmerung! Schwarze Raben in südlicher Richtung!"
Die Nachricht war nicht unterschrieben worden, auch befand sich kein Siegel auf dem Pergament, welches den Absender hätte identifizieren können. Osaíras Neugier war geweckt. Sie entschloss sich das geheime Treffen wahr zu nehmen und begann ihre Ausrüstung für einen nächtlichen Ausflug vorzubereiten.
Es war noch immer weitestgehend Dunkel, ein seichter Nebel lag über dem Hafenbecken. Außer ein paar flackernden Laternen der Nachtwächter war kein Lebenszeichen bei den Docks aus zu machen. Osaíra hatte sich in der Takelage eines im Hafen liegenden Handelsschiffes postiert und wollte erst einmal die Lage beobachten um eventuellen Überraschungen zuvor zu kommen. Es war merklich frisch und eine leichte Brise vom Meer ließ sie frösteln. Gespannt spähte sie durch die Nebelschwaden und lauschte dem leisen Geräusch von Wellen die an die Hafenmauer plätscherten, als sie plötzlich eine Bewegung ausmachen konnte.
Nicht weit entfernt sah sie eine einzelne Gestalt in einem dunklen Mantel und mit tief gezogenem Federhut zwischen den Schatten des Docks umher patrouillieren. Sie wartete noch einige Herzschläge ab, konnte jedoch keine weiteren Personen ausmachen, und beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Nahezu lautlos ließ sie sich an einem Seil auf den grob gepflasterten Pier herab gleiten. Sie nutze die Schatten von umherstehendem Frachtgut um sich der Person unbemerkt zu nähern. Sie war nun bis auf wenige Schritte Entfernung heran. Die vermummte Gestalt schien auf jemanden oder etwas zu warten. Osaíra hielt kurz inne und trat dann entschlossen aus ihrer Deckung. "Seltsam, jemanden zu dieser Stunde hier anzutreffen!" -die Person wandte sich ihr zu und schien sie einen Augenblick zu mustern. Osaíra konnte das verdunkelte Gesicht nur vage erkennen. "Seid gegrüßt, habt ihr die Raben gesehen?", kam die Frage in freundlichem aber angespannten Tonfall. "Sie flogen nach Süden!", antwortete die Assassine. "Nun gut. Dann müsst ihr Osaíra sein," antwortete der Fremde. "Ich bin Haos. Berater und Informant am Hofe in Götterfels. Ich handle im direkten Auftrag Königin Jennahs. Sie wünscht, dass ich euch einen Auftrag anbiete." Osaíra wurde hellhörig und spürte wie ihre Anspannung stieg. Warum sollte die Königin ausgerechnet sie mit einer Aufgabe betrauen wollen. "Ihr habt meine Aufmerksamkeit, erzählt mir mehr darüber," bemühte sie sich um einen geordneten Tonfall. "Die Königin möchte, dass ihr einen Gegenstand aus einem Verlies beschafft. Es handelt sich um eine Art Artefakt, welches von großem Wert für Götterfels sein könnte. -"Die Königin besitzt eine Garde und etliche Soldaten, aus welchem Grund sollte sie dafür meine Hilfe benötigen?", gab Osaíra ihre Verblüffung preis. -"Nun. Es sind schwierige und unruhige Zeiten in denen wir Leben, die Völker sind sich uneins, und die Bedrohung durch Drachen und anderes Gesindel wächst zunehmend. Eine großangelegte Expedition durch altertümliche Ruinen, welche unter dem Banner der Königin stattfindet, würde mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregen und Misstrauen nach sich ziehen. Ihr aber wurdet auf Grund eurer diskreten und effektiven Arbeitsweise weiter empfohlen." -"Dieses Angebot schmeichelt mir sehr. Ich werde darüber nachdenken," erwiderte sie. -"Ihr habt zwei Tage Bedenkzeit, dann werde ich euch erneut kontaktieren," sagte Haos und wandte sich zum Gehen. -"Eins wäre da noch," begehrte Osaíra auf. -"Ja?" fragte der Informant etwas überrascht. -"Welche Art von Bezahlung kann ich für diesen Auftrag erwarten?". Der Mann ließ ein kurzes Lachen anklingen. -"Macht euch um eure Bezahlung keine Sorgen! Ihr erhaltet mehr Sold als ihr tragen könnt!" -"Ich kann eine Menge tragen!" erwiderte die Assassine überzeugt. -"Könnt ihr auch eine Kutsche ziehen?" mit diesen Worten wandte sich der Bote um und ließ eine breit grinsende Osaíra auf dem Pier zurück.