Turrja Schattenlied
Die Legende einer Norn
Part 3 - Schattenlied
Jarrek Hammarson war ein altgedienter Krieger, der bereits viele Schlachten geschlagen hatte. Sein Gesicht war durch harte Züge und etliche Narben gekennzeichnet. Als er sich den Schnee von den Schulterplatten klopfte und in die Runde der Übrigen blickte, nickte er betrübt und senkte seinen Blick zum Boden des zerstörten Lagers. Sie waren zu spät gekommen. Die acht Kämpfer bildeten einen kleinen Spähtrupp aus Kriegern und Waldläufern, welcher einem großen Flüchtlingszug aus dem Norden als Vorhut diente. Sie hatten das zerstörte Lager bei Anbruch des Tages entdeckt und lediglich zwei Überlebende gefunden. Einen Verwundeten, der von den Angreifern zwischen den Leichen seiner Kameraden offenbar für tot gehalten worden war, und eine Nornfrau, die unter einem Wagen eingeklemmt überlebt hatte. Seit mehreren Stunden waren sie damit beschäftigt gewesen, die abgebrannten Überreste zu durchkämmen, nach Überlebenden zu suchen, und die Verstorbenen in provisorischen Gräbern zu beerdigen. Erschöpft setzte Jarrek sich auf ein verkohltes Fass und starrte auf die vielen Grabhügel, welche bereits mit einer feinen Schicht neuen Schnees überdeckt waren. Sie würden den Nachfolgenden Flüchtigen diesen Anblick ersparen und den Zug um dieses Gebiet herumführen. Die Leute seines Volkes waren erschöpft und verängstigt genug, er wollte ihnen nicht den letzten Funken Hoffnung nehmen. Vom Lagerrand kam ihm einer seiner Kameraden entgegen geeilt. Offenbar hatte er eine Entdeckung gemacht. "Jarrek! Ich habe Spuren entdeckt! Sie führen hinter dem Lager geradewegs in Richtung Wald!" Sofort war der alte Krieger auf den Beinen. "Schnell, führe mich dorthin!".
Jarrek kniff die Augen zusammen. "Eindeutig Nornstiefel! Der Größe nach zu urteilen von einer Frau. Ich sehe keine weiteren Spuren." - "Ich habe die Umgebung abgesucht und konnte ebenfalls keine Spuren von Verfolgern finden!" bestätigte ihm der Waldläufer. "Was sollen wir nun tun, Hammarson?" -" Wir teilen uns auf. Malveras, Torr, Svetja, ihr kommt mit mir. Wir suchen den Wald ab! Die übrigen vier eskortieren die Beiden Verwundeten zu unserem Zug und erstatten Bericht. Wir stoßen zu euch zurück wenn wir etwas gefunden haben! Dann los!" befahl Jarrek.
Der Suchtrupp war mittlerweile mehrere Stunden unterwegs und kämpfte sich immer tiefer durch das Unterholz des dichten Forstes. Es wurde zunehmend schwerer der Spur der hoffentlich noch lebenden Norn zu folgen. Bald würde Jarrek entscheiden müssen ob sie ihre Suche fortsetzten oder umkehren sollten. Die Umgebung gab ihm ein ungutes Gefühl, das er nicht wirklich beschreiben konnte, und er wollte nicht riskieren ein Nachtlager mitten im Wald aufschlagen zu müssen. Gerade wollte er seine Gedanken aussprechen, als die vier Norn sich am Rand einer kleinen Lichtung wiederfanden. Malveras, einer der beiden Waldläufer warf ihm einen fragenden Blick zu. "Hört ihr das?" -"Ich kann nichts Ungewöhnliches hören. Genaugenommen höre ich gar nichts! Seltsam," antwortete Jarrek verwundert. "Das gefällt mir nicht!" entgegnete Malveras und legte einen Pfeil auf die Sehne seines Langbogens. Auch die Übrigen zogen ihre Waffen. Vorsichtig und die Umgebung sichernd, traten die vier auf die Lichtung. "Dort!" Svetja zeigte in Richtung des alten Baumes, welcher sich in der Mitte der Lichtung erhob. "Seht ihr das blaue Schimmern zwischen den Wurzeln? Was ist das?!" -"Lasst uns nachsehen, aber seid vorsichtig!" sagte Jarrek.
Svetja erreichte den Baum als Erste. Als sie sich dem blau leuchtenden Licht näherte stockte ihr der Atem, ihr Herz begann zu rasen. "Zu mir! Schnell! Es ist die Norn! Sie hat ein Kind dabei!" Ihre Kameraden ließen alle Vorsicht fallen und eilten herbei. Als sie das vor ihnen liegende Bild erblickten blieben sie wie angewurzelt stehen. Niemand traute sich ein Wort zu sprechen. Der Waldläuferin rannen Tränen über die Wange und auch ihre Kameraden blickten regungslos und betrübt auf die Szene. Die verstorbene Norn Lag in einer unnatürlich verkrampften Pose am Boden gekrümmt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, doch hatten sie allen Glanz verloren und waren zu zwei schwarzen Abgründen geworden. "Das Werk eines Nachtschattens! Die arme Frau." stellte Jarrek bitter fest, und bekam dabei nicht mehr als ein leises Flüstern zustande. "Sie muss das nahende Ende kommen gesehen haben, und hat einen Schutzzauber um das Kind gewebt. Ich kann nur erahnen, welche Kraft es gekostet haben mag diesen Bann lange genug aufrecht zu erhalten." Svetja kniete sich behutsam neben das kleine Bündel indem das Kind lag. Vorsichtig schob sie die Decken etwas auseinander. Zwei kleine Äugelein blickten ihr blinzelnd entgegen. Das Kind lebte. Tränen der Rührung und der Erleichterung liefen über Svetjas Wangen. Die anderen drei waren an ihre Seite getreten und alle starrten schweigsam auf das wundersame Kind. Der leuchtende Zauber begann sich langsam zu kleinen bläulichen Funken zu zerstäuben und verblasste schließlich. Die kleine Turrja war in Sicherheit.
"Dies ist die Legende die man sich von jeher erzählt. Und dies ist auch die Begebenheit, welche der damals jungen Turrja den Zunamen Schattenlied einbrachte. Dieser Name ist eine Erinnerung an ihre Mutter, Elva Heilsang, die in jener schicksalhaften Nacht gestorben war und Turrjas Leben mit ihrem Gesang vor der Grausamkeit der Schatten bewahrt hatte."